70 Jahre und kein Stillstand – Gert Hölzel – ein Leben für den Tanz
Veröffentlichung in der DNN vom 13.07.2009

Er würde sicher nicht viel anders machen als bisher, so Gert Hölzel am Ende eines Gespräches anlässlich seines heutigen 70. Geburtstages. Der Tanz bestimmt sein Leben. Eigentlich von Beginn an. Die Eltern kamen aus der Wandervogelbewegung, von daher war die Nähe zur Folklore in der Dresdner Familie, hier wurde getanzt und gesungen, der Vater leitete eine Tanzgruppe. Fast vorhersehbar, dass der Sohn bald ähnliche Wege einschlug.

In zwei Dresdner Amateurtanzgruppen erprobte er seine Talente, absolvierte aber auf Wunsch der Eltern eine Lehre als Möbeltischler für Innenausbau in den Deutschen Werkstätten Hellerau.
 Jeder größere Betrieb, der auf sich hielt, hatte damals eine Kulturgruppe, so konnte der junge Mann auch bei der Bau-Union tanzen, und der Wunsch wurde stärker, das Hobby zu professionalisieren. Ausgerechnet die Einführung der Wehrpflicht verhalf ihm dazu. Für ein Direktstudium war er inzwischen zu alt, aber im Erich-Weinert-Ensemble der Volksarmee, da konnte man ja die Kunst zur Waffe machen. Man kann sich das Schmunzeln nicht verkneifen, aber es ging da um getanzte Waffenbrüderschaft, Folklore, wenn überhaupt, dann als Mittel des Klassenkampfes. „Sieg durch List”, so eine Choreografie von Ruth Berghaus, an die sich Gert Hölzel erinnert, der dann Mitglied des aus dem staatlichen Dorfensemble hervorgegangenen Folkloreensembles Neustrelitz wird. Rosemarie Ehm-Schulz leitete dieses professionelle Tanzensemble, und Hölzel kann seine Grundlagen hier noch mal so gut ausbauen, dass es ihm gelingt, nach einer Oberstufenlehrerausbildung in Güstrow auf Anhieb einen Studienplatz für Tanzpädagogik an der Leipziger Fachschule für Tanz zu bekommen.

D13.07.2009er Studienwechsel wurde aber nur erlaubt unter der Bedingung, zurückzukommen und an der Güstrower Hochschule als Tanzpädagoge zu arbeiten. Inzwischen verheiratet, hatte Ilölzel erste Verbindungen nach Dresden geknüpft. 1971 beginnt die Zusammenarbeit mit dem damaligen FDJ-Tanzensemble des zentralen FDJ-Studentenensembles der TU Dresden. Drei Jahre später übernimmt er die Leitung des Ensembles, das aus dem 1950 von der Wigman-Schülerin Thea Maass gegründeten Folkloretanzensemble hervorgegangen ist.

Unter Hölzels Leitung kommt 1977 die Kindertanzgruppe hinzu, die heute fast 130 Mitglieder hat. Gut 40 Tänzerinnen, Tänzer und Musiker gehören dem seit 1990 nach ihrer Gründerin benannten Folkloretanzensemble an, ehemalige Mitglieder treffen sich regelmäßig und tanzen zur eigenen Freude.
Die eindrucksvolle Liste der Auszeichnungen und Preise, die Stationen der Auftritte in ganz Europa, in den USA und Israel, die Teilnahmen bei internationalen Wettbewerben dokumentieren die Erfolgsgeschichte eines Dresdner Ensembles, die aufs Engste mit dem Wirken Gert Hölzels verbunden ist. Und seit es den maßgeblich von ihm mitinitiierten Bundeswettbewerb „Jugend tanzt” gibt, konnte auch der Nachwuchs, in der Folklore so gut wie konkurrenzlos, bereits dreimal einen ersten Preis erringen.


Dabei ist es mit der Folklore in Deutschland nicht so einfach, die Vereinnahmung durch die Nazis hat viel zerstört, Missachtung und Negierung folgte in der DDR die Ideologisierung. Im Westen pflegten Vereine ihre Traditionen, künstlerische Entwicklungen im Sinne von zeitgemäßer Gestaltung und choreografischer Auseinandersetzung blieben die Ausnahme. Ganz anders im Ausland, östlich oder westlich, bei Gastspielen und auf Wettbewerben, man sah sich als deutsches Ensemble oft einem offenen und unverkrampften Umgang mit Traditionen gegenüber. Inzwischen dürfte das Dresdner Ensemble der TU eines der wenigen, wenn nicht gar das einzige in Deutschland sein, dem es gelungen ist, eine Ästhetik choreografierter Folklore zu kreieren, die fernab von erstarrter Brauchtumsbewahrung von den Wurzeln dieser Kunst ausgeht und sie nicht losgelöst sehen kann von zeitgenössischen und internationalen Einflüssen des Jazz- und Street-Dance. Besonders bei der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen spielt das eine Rolle, die aber erstaunlicherweise auch mit Lust und Leidenschaft in solchem Kontext Tanzformen der nationalen und internationalen Folklore gegenüber äußerst offen sind.

Für Gert Hölzel ist diese Art der künstlerischen und kreativen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, mit Traditionen und Formen, eine gute Möglichkeit für Kinder und Jugendliche sich den wichtigen Fragen nach Identität und Herkunft zu stellen. 1990 gehört er zu den Mitbegründern des Sächsischen Tanzverbandes, bleibt bis 2004 dessen erster Vorsitzender, ist heute Ehrenvorsitzender. Er initiiert die sächsischen Tanzfeste mit und schafft eine Lobby für eine beachtliche Anzahl größerer oder kleinerer Tanzgruppen im Freistaat.
Vor drei Jahren hat er die Leitung des Tanzensembles der TU Dresden an die Tanzpädagogin und Choreografin Maud Butter nach gut fünfjähriger Zusammenarbeit übergeben. Zur Ruhe gesetzt hat er sich nicht, er unterrichtet, ist gefragt als Berater und künstlerischer Assistent und übernimmt Neueinstudierungen von Stücken aus dem Repertoire, auch Choreografien von Thea Maass, deren Motto, dass man nur tanzen könne, was man selbst erlebt habe, er sich zu eigen gemacht hat und gerne weiter vermittelt. Herzlichen Glückwunsch!

Boris Michael Gruhl

Gert Hölzel – Ein Tanzleben
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